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Mit M. A. Numminen in der Kneipe

M. A. Numminen feiert Jubiläum: Vor 30 Jahren erblickte "Der Kneipenmann" das Licht der Öffentlichkeit. Zum runden Geburtstag hat der finnische Sachbuchhändler Docendo eine Neuauflage des vergriffenen Bierbar-Klassikers herausgebracht - willkommener Anlass für ein Gespräch mit M. A. Numminen über Bierbars und finnische Kneipenkultur im 21. Jahrhundert.

Es ist ein trüber Wintertag, als wir Numminen in Helsinki treffen - natürlich in einer Kneipe: Die “Roskapankki” (Müllbank) im Stadtteil Kallio steht in keinem Reiseführer, ist unter den Einheimischen aber ziemlich beliebt - und das aus gutem Grund: Fast nirgendwo in Helsinki lässt sich so preiswert zechen. Schon am frühen Nachmittag sind viele Plätze an der Theke belegt. Die Gäste sind überwiegend Männer jungen und mittleren Alters. Beim Blick auf die vielen Biergläser vor den Barhockern traue ich mich fast nicht, Kaffee zu verlangen. Doch der Barkeeper nimmt die Bestellung mit stoischer Gelassenheit entgegen. Wer schon einmal in einer Kölner Altstadtkneipe ein Mineralwasser trinken wollte, weiß das zu schätzen.

M. A. Numminen mit der deutschen Ausgabe von “Der Kneipenmann”
M. A. Numminen mit der deutschen Ausgabe von “Der Kneipenmann”

“Kennen Sie auch meine Weihnachts-CD?”, fragt Numminen zur Begrüßung. Ja, die kennen wir - und wir haben sie nicht nur zuhause im Regal stehen, sondern auch schon wiederholt gehört. “Ich bin Ende November (2016) in Brackenheim (bei Heilbronn) gewesen”, erzählt er; “das Brackenheimer Kulturforum wollte 50 Stück Weihnachts-CDs haben, in den Geschäften in Deutschland gibt es ja keine mehr, deshalb habe ich hier in einer Firma schnell ein paar Kopien machen lassen.” - Kopien müsste man freilich auch von seinem Buch “Der Kneipenmann” anfertigen: Die deutsche Erstausgabe ist 2003 erschienen, 17 Jahre nach dem finnischen Original; doch die gedruckte “Expedition zu den Bier-Bars in Finnland von Helsinki bis Lappland” ist hierzulande leider seit vielen Jahren vergriffen.

“Die Idee zu diesem Buch ist mir 1984 in Sotkamo gekommen, in Nordfinnland; da gab es eine Kneipe namens Lempin Baari. Ich war da als Entertainer, und als ich mit meiner Frau die Straße entlangging, habe ich mich an meine Kindheit und Jugend erinnert. Damals gab es in meinem Wohnort Somero eine Bar mit Busstation, das war die sündigste Stelle in Somero. Die Lempin Baari war ganz ähnlich wie diese Bar in meiner Jugend. Ich habe nachgedacht: Wenn ich in der Zukunft ein bisschen Zeit habe, dann schreibe ich über dieses Phänomen. Die Zeit musste ich mir natürlich erst reservieren - das Jahr 1984 war voll, das nächste Jahr war voll. 1986 war ich dann ein halbes Jahr überall in Finnland unterwegs. Meine Frau war als Chauffeurin ab und zu dabei - und das war auch gut, besonders in Lappland. Da wollten alle Männer mit Numminen trinken.”

Kneipentour durch 350 Bierbars

Und so hat M. A. Numminen vom Neujahrstag bis Mittsommer 1986 mit seinem Auto - “einem französischen Fabrikat” - an die 20.000 Kilometer zurückgelegt und 350 Dreierbierbars besucht. Dreierbierbars - eine typisch finnische Einrichtung.

Numminen nickt: “Bis 1969 war in dieserlei Kneipen nur Leichtbier gestattet, das bedeutet also etwa 2,8 Prozent Alkohol. Und in diesem Jahr '69 kam ein neues Gesetz, so dass man auch 4,7-prozentiges Bier in den Bars haben konnte. Da war eine große Freude bei uns in Finnland - überall. Ich erinnere mich, hier in Helsinki gab es die Bierfabrik Koff; als das neue Jahr begann, fuhren Lastkraftwagen voll mit Mittelbier durch das Land.”

Die finnische Dreierbierbar ist kein Ort der Begegnung für alle Schichten, hat Numminen 1986 im Vorwort seines Buchs geschrieben, denn dort verkehren vor allem Arbeitslose und Rentner, aber nicht das gehobene Volk. Hat sich das geändert?

“Nicht für die Mittelklasse, und für die Oberklasse natürlich auch nicht. Aber nach meinem Buch wollten besonders die Studenten absolut diese Art von Kneipen besuchen - das war ein großes Ereignis. Heutzutage gibt es in Stadtteilen wie Kallio noch immer solche Bierbars, auch in großen Städten in Finnland, ein bisschen auch auf dem Lande, aber nicht so viel. Zum 30-jährigen Erscheinen ist ja eine Neuauflage meines Buchs herausgekommen, und das bedeutete, dass ich schon vor diesem Treffen dreimal im Roskapankki gesessen und über diese alten Kneipen erzählt habe.”

Numminen schmunzelt, als er das sagt. Da schwingt wohl ein bisschen Nostalgie mit - denn beim Durchblättern der ersten Auflage fällt auf: Viele Kneipen von damals haben die Zeit nicht überdauert.

“Nein. Auch die Bierkultur hat sich geändert. Es sind wenige Leute, die in dieserlei Kneipen und Bars sitzen wollen, aber sie sind eben doch hier, wie wir jetzt sehen. - Es gibt auch einige andere Bierbars, die als Kunden jüngere Leute haben, aber das sind meistens Kriminelle. Wir haben hier ein Gefängnis, und wenn die Männer freigelassen werden, besuchen sie gleich zwei Bierbars in der Nähe. Jetzt ist es ganz ok dort, aber später am Abend ist es ein bisschen gefährlich - nicht für mich, aber für Sie”, spricht Numminen und lacht.

Kneipenkultur im Wandel

Numminen nippt zwischendurch immer mal wieder an seinem Bier, das hier im Roskapankki gerade mal 3,20 Euro kostet. Anderswo in der Stadt zahlt man in den Lokalen mehr als doppelt so viel.

“Ja, diese Kneipe wurde so berühmt und populär, weil sie billigere Preise hat als andere Bierbars. In dem Haus schräg gegenüber gibt es ein Eisenwarengeschäft. Da war mal eine Bar, aber die musste schließen als das Roskapankki eröffnet hat. Weil das Bier weniger kostet, wollten alle nur noch hier sitzen.”

Roskapankki - ein lustiger Name. Wörtlich übersetzt heißt das: Müllbank. In Deutschland kennt man für diesen Begriff einen englischen Ausdruck: Bad bank - eine ausgelagerte Gesellschaft, die bei sanierungsbedürftigen Banken die faulen Kredite und Risiken übernimmt. - Doch zurück zur Kneipenkultur - sie ist in Finnland zur Zeit im Wandel.

“Helsingin Sanomat (die auflagenstärkste Tageszeitung im Land) hat eine Beilage namens Nyt, also Nun; dort werden in der letzten Nummer 20 neue Hipster-Bierkneipen vorgestellt. Die meisten befinden sich im Zentrum, aber auch in größeren Stadtteilen wie Itäkeskus und nahen Städten wie Espoo und Vantaa.”

Besucht auch Numminen diese neuen Hipster-Bierbars?

“Ja, gerne, wenn ich die Zeit habe. Das ist nicht oft, aber wenn, dann gehe ich meistens mit jüngeren Bekannten hin. Die meisten Freunde in meinem Alter können nicht mehr Alkohol trinken - ich bin froh, dass ich noch kann, und darum besuche ich normalerweise mit Jüngeren diese Bierbars. In der Nähe, wo ich wohne, gibt es eine solche Bar, sie hat bis halb vier morgens geöffnet, und ab und zu sitze ich auch so lange dort. In diesen Hipster-Bars trinke ich sehr oft ausländisches Bier, Chimay bleue aus Belgien ist einer meiner großen Favoriten, und deutsche Biere - zum Beispiel Bamberger Rauchbier, Schlenkerla, das ist mein Weihnachtsbier.”

An diesem Punkt des Gesprächs staune ich Bauklötze: Denn das Schlenkerla ist auch mein Weihnachtsbier. Einmal im Jahr zu Weihnachten besucht meine Familie ein fränkisches Gasthaus, in dem ich eine Flasche davon trinke - immer nur an Weihnachten, das ist schon fast Tradition. Bamberger Rauchbier gibt's in Finnland übrigens in den Alko-Läden zu kaufen, zu Preisen von deutlich über drei Euro pro Flasche. Finnisches Bier bekommt man in jedem Supermarkt. Zumeist handelt es sich dabei um Gerstensaft aus den Tanks großer Getränkekonzerne, aber:

“Es gibt mehr und mehr kleine Brauereien, die sehr gute verschiedene Biere haben - und nicht nur Mittelbier. Allein in Helsinki sind vier, fünf Minibrauereien entstanden - das ist also in Mode heutzutage.”

In Mode ist es auch, aus Finnland zum Bierkaufen mit der Fähre ins estnische Tallinn zu fahren.

“Ja, das ist typisch. Man kann große Mengen kaufen - wenn ich mich richtig erinnere, darf man 100 Liter Bier mitnehmen, und dann 30 Liter Wein und 20 Spirituosen; aber meistens kaufen die Finnen Bier - und zwar finnische Biere wie Koff und Lapin Kulta.”

Numminen kann nicht nein sagen

M. A. Numminen zeigt sich als charmanter Gesprächspartner - mit ausgezeichnetem Deutsch. Wenn man ihn so sieht, ist es kaum zu glauben, dass er die 70 schon überschritten hat. Im März 2017 wird er 77 - und ist ständig auf Achse.

“Keine Möglichkeit nein zu sagen. Glücklicherweise habe ich viele verschiedene Programme. 2016 bin ich zwei mal mit einer Big Band aufgetreten, mit meinem Underground Rock Orchester hatte ich drei Auftritte, dann ein Chorkonzert, vier mal ein klassisches Konzert, meine eigene Jazzband, dann Kinderkonzerte mit Symphonieorchester - so hab' ich vielleicht acht verschiedene Programme.”

Der nächste Termin ruft: M. A. Numminen vor der Kneipe “Roskapankki”
Der nächste Termin ruft: M. A. Numminen vor der Kneipe “Roskapankki”

Und dann schlüpft er auch noch regelmäßig in ein Hasenkostüm und tritt gemeinsam mit dem Akkordeonisten Pedro Hietanen als Duo Gommi & Pommi vor begeisterten Kindern auf. Wird ihm das nicht alles irgendwann zu viel?

“Ab und zu schon. Heute habe ich zum Beispiel ein neues Buch von mir dabei (Numminen kramt in seiner Tasche und holt es hervor), Jazzin meining, auf deutsch könnte man sagen der Drive des Jazz, es gibt kein solches Wort wie meining im Finnischen, es ist meine eigene Erfindung, aber alle verstehen, was es bedeutet. Die Bilder darin sind vom Anfang der 1960er Jahre, als ich sehr oft in Jazzkonzerten war. Hier in der Nähe gibt es das Kulturhaus, da waren viele Konzerte. Das da ist zum Beispiel Quincy Jones”, erzählt Numminen und deutet auf ein Bild.

Der hat mal hier gespielt?

“Ja, das war Ende August 1960. Dann Count Basie, Duke Ellington, John Coltrane, Eric Dolphy, Cannonball Adderley. Ich habe ein Interview mit Thelonious Monk gemacht, das habe ich 1964 in unserer Studentenzeitung geschrieben. Gestern hat hier ein Jazz Festival begonnen, das eröffne ich normalerweise offiziell. Und da habe ich dieses Interview gesungen - das Publikum war sehr erfreut. Die Bilder in meinem Buch sind zum ersten Mal veröffentlicht worden - es ist möglich, dass dieses Buch auch auf Deutsch herauskommt, vieleicht 2017.”

Wird's denn auch die Neuauflage von “Baarien mies”, dem “Kneipenmann”, auf Deutsch geben?

“Das glaube ich nicht. Ich weiß nicht, ob es einen alternativen Verlag in Deutschland gibt, der es herausbringt.”

Lesen Sie auch: M. A. Numminen: Der Kneipenmann

Wenn Sie Lust bekommen haben: Die Kneipe “Roskapankki” finden Sie in der Helsinginkatu 20 im Stadtteil Kallio. Man kann dorthin mit der Straßenbahn fahren - oder einen kleinen Spaziergang machen: Der Fußweg von der Innenstadt hierher dauert eine knappe halbe Stunde und führt an der sehenswerten Hakaniemen Kauppahalli, der Markthalle von Hakaniemi, vorbei.

Zuletzt bearbeitet am 10.03.2017