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Finnland-Infos

Auf der Via Baltica

Das Schengener Abkommen macht's möglich: Seit dem 21. Dezember 2007 können Reisende aus Deutschland ohne Grenzkontrollen über Polen und das Baltikum (fast) bis nach Finnland fahren. Die Fahrt mit dem Auto ist eine echte Alternative zur Fährpassage. Viele Straßen im früheren Ostblock haben längst Westniveau erreicht - leider nicht nur die Straßen.

Die Tour durch Polen und das Baltikum nach Finnland haben wir erstmals im Spätsommer 2004 unternommen - und dafür gab's auch gute Gründe: Denn die Fährpassage mit Kabine kostete schon damals weit über 500 Euro für die einfache Strecke. Für diesen Betrag - so unsere Überlegung - könnten wir auch ganz locker unseren sparsamen Kleinwagen dreimal volltanken, vier Übernachtungen in Mittelklasse-Hotels bezahlen und eine Überfahrt auf der günstigen Fähre von Tallinn nach Helsinki buchen. Wir fuhren also mit dem eigenen Wagen.

Alleengeschmückte Landstraße in Polen
Alleengeschmückte Landstraße in Polen

Im Jahr 2004 war eine Fahrt durch Polen ein kleines Abenteuer, denn auf der Hauptroute von Berlin über Frankfurt/Oder nach Warschau gab es noch keine Autobahn. Der Weg in die polnische Hauptstadt führte überwiegend über Landstraßen, die sich in einem teilweise desolaten Zustand befanden: Die Fahrbahnen waren mit Schlaglöchern übersät und von zentimetertiefen Spurrillen durchzogen - eine Folge der vielen Lastwagen auf der Strecke. Je weiter man in östliche Richtung vorstieß, um so internationaler wurde der Verkehr: Zahlreiche Sattelschlepper aus Russland, Weißrussland und dem Baltikum tauchten im Straßenbild auf - und uns Besuchern aus dem Westen wurde bange, weil die Einheimischen trotz Gegenverkehrs auf der zweispurigen Straße munter überholten. Von den Entgegenkommenden wurde erwartet, dass sie rechts auf den schmalen Seitenstreifen ausweichen. Es dauerte eine Weile, bis wir das verinnerlicht hatten.

Ruppiger Fahrstil im wilden Osten

Auch heute noch sind wir besonders vorsichtig, wenn wir mit dem Auto durch Polen fahren. Ich will hier keine Vorurteile schüren, aber unsere östlichen Nachbarn pflegen im Straßenverkehr einen teilweise doch recht ruppigen Fahrstil, sind oft schneller unterwegs als erlaubt und überholen an den unmöglichsten Stellen. Eine kleine Entschädigung für die mitunter nervenaufreibende Fahrt bietet die Landschaft am Wegesrand mit ihren herrlichen Alleen, den saftigen Wiesen, auf denen hin und wieder ein paar einsame Kühe grasen, und den naturbelassenen Brachen, die man vor allem im nördlichen Teil des Landes findet.

Das alte Königsschloss in Warschau
Das alte Königsschloss in Warschau

Der größte Teil unserer Reiseroute in Polen verläuft allerdings heute nicht mehr auf einsamen Landstraßen, sondern auf der Autostrada 2, die inzwischen vom Grenzübergang Frankfurt/Oder bis nach Warschau fertiggestellt ist. Für die Fahrt auf der neuen A 2 ist eine Maut fällig - sie liegt bei ungefähr 16 Euro für die gesamte Strecke (Stand 2014). An der Autobahn finden sich Toilettenanlagen und Rasthöfe, bei denen sich der Besucher aus Deutschland erstaunt die Augen reibt: Die polnischen Toiletten sind in einem sauberen und gepflegten Zustand, in den Rastanlagen werden für Speisen und Getränke keine überhöhten Preise verlangt - äußerst lobenswert.

Weltstadt mit Westniveau

Warschau präsentiert sich dem Besucher als echte Weltstadt - mit Hochhäusern, breiten Straßen und Einkaufszentren, die am Stadtrand wie Pilze aus dem Boden schießen. Beim Betreten eines solchen Konsumtempels trifft man gleich auf alte Bekannte: Deichmann und Media-Markt sind nicht die einzigen Ketten, die in Polen Fuß gefasst haben. Der Handel hat längst Westniveau erreicht - und damit leider auch die Preise, nicht nur in den Geschäften: Für Hotelübernachtungen in Polens Hauptstadt muss man inzwischen ähnlich tief in die Tasche greifen wie in deutschen Metropolregionen; in Restaurants kann man immer noch günstig speisen, aber auch hier ziehen die Preise an. Übrigens: Viele Geschäfte und Einkaufszentren haben im katholischen Polen auch an Sonntagen geöffnet.

Hausfassaden in der Warschauer Altstadt
Hausfassaden in der Warschauer Altstadt

Doch es gibt nicht nur das weltstädtische, das pulsierende Warschau, sondern auch die beschauliche Altstadt - und die ist durchaus einen Besuch wert, auch wenn sie nicht wirklich alt ist. Das Zentrum Warschaus wurde im zweiten Weltkrieg praktisch vollständig zerstört. Eines der ersten Opfer war das historische Königsschloss, das beim Polenfeldzug 1939 von Fliegerbomben getroffen wurde und teilweise ausbrannte. Was gegen Ende des Krieges von der Altstadt noch übrig war, haben deutsche Truppen systematisch vernichtet. Doch die Warschauer haben ihre Altstadt wieder weitgehend originalgetreu aufgebaut. Seit 1980 gehört sie zum Weltkulturerbe der Unesco.

Land im Aufbruch

Von Warschau aus führt die Fahrt Richtung Finnland weiter über Bialystok und Budzisko. In vielen Orten findet der Besucher am Straßenrand Zeugnisse der Volksfrömmigkeit: bunt geschmückte Marienstandbilder und Bildstöcke mit religiösen Motiven. Und noch etwas fällt bei der Fahrt durch die Dörfer und städtischen Vororte auf: Das Land befindet sich im Aufbruch. Alte Häuser werden renoviert, viele neue gebaut - oft in einem Stil, der mit seinen vielen Erkern und Säulen eher an westeuropäische Nobelviertel erinnert. Die Dächer sind teilweise mit knallbunten “Dachziegeln” gedeckt - dass es sich dabei nicht um echte Ziegel, sondern um glänzend lackierte Metall- oder Kunststoffplatten handelt, sieht der Betrachter erst auf den zweiten Blick.

Dorfstraße in Litauen
Dorfstraße in Litauen

Nach der Fahrt über die polnisch-litauische Grenze hat man fast das Gefühl, wieder in einer anderen Welt angekommen zu sein. Litauen war gemeinsam mit Lettland und Estland von 1944 bis 1991 ein Teil der Sowjetunion, ehe die drei Länder den Weg in die Selbständigkeit erkämpft und den Anschluss an die Europäische Union gesucht haben. Man merkt ziemlich schnell, dass Litauen noch zum ärmeren Teil Europas gehört: In Polen wird an allen Ecken und Enden gebaut und renoviert, die Menschen streichen ihre Häuser, große Reklametafeln sorgen für so manchen Farbtupfer in der Landschaft. Litauen jedoch präsentiert sich dem Besucher noch vielerorts grau in grau. Und doch haben wir seit einigen Jahren den Eindruck, dass sich auch hier etwas bewegt: Einige Häuser werden instandgesetzt, auf den Straßen sind Autos neueren Baujahrs unterwegs, in den Geschäften herrscht großer Betrieb.

Ladenketten auf dem Vormarsch

Auf den Feldern dagegen arbeiten viele Landwirte noch mit Traktoren, wie sie in Deutschland vor gut 30 Jahren im Einsatz waren. Wir haben Bauern gesehen, die mit Pferdefuhrwerken unterwegs waren, und Menschen, die mit der Hand Kartoffeln aufgesammelt haben. Städtisches Flair versprüht dagegen Kaunas: Die gepflegte Fußgängerzone in der zweitgrößten Stadt Litauens wird von einer Allee geschmückt, unter den Geschäften findet sich nicht nur eine Filiale von “Fielmann”, sondern auch eine Niederlassung des finnischen Burgerbraters “Hesburger”. Neben den westlichen haben auch skandinavische Konzerne das Baltikum längst als potentiellen Wachstumsmarkt entdeckt.

Fußgängerzone in Kaunas
Fußgängerzone in Kaunas

Von Kaunas aus geht die Fahrt auf der Europastraße 67 weiter Richtung Riga und Tallinn. Wir bewegen uns hier auf der “Via Baltica”, einer alten Handelsstraße, die auch in früheren Zeiten schon das Baltikum mit Polen und dem mitteleuropäischen Raum verbunden hat. Unsere ersten Reisen auf dieser Strecke waren nervenaufreibend, denn vor allem in Lettland und Estland gab es viele Baustellen. Autos und Laster kamen auf einspurigen Schotterpisten nur sehr langsam voran, weil sämtliche Bauabschnitte mit Ampeln versehen waren. Die großen Sanierungsarbeiten sind weitgehend abgeschlossen, doch gebaut und ausgebessert wurde auf unserer Fahrt im Sommer 2014 schon wieder - kein Wunder, denn auf der Straße tummeln sich Schwerlaster aus halb Osteuropa mit Kennzeichen, die man hierzulande kaum einmal sieht.

Unberührte Natur am Wegesrand

Eine Entschädigung für die zeitaufwändige und mitunter anstrengende Fahrt auf der “Via Baltica” bietet die Landschaft am Wegesrand: Überall gibt es schöne Wälder und eine teils noch unberührte Natur. In weiten Teilen Polens, Litauens und Lettlands (und auch im südlichen Estland) sieht der Autofahrer in den Sommermonaten zahllose bewohnte Storchennester. In Lettland führt die Straße ein ganzes Stück an der Ostsee entlang; auf einem der wenigen Parkplätze dort legen wir regelmäßig eine kurze Pause ein und genießen den Blick auf Meer und Strand.

Soldatenfriedhof in Kuressaare
Soldatenfriedhof in Kuressaare

In “Eesti” - wie Estland in der Landessprache heißt - haben wir auch schon mal einen kurzen Abstecher auf die Insel Saaremaa unternommen. Die Gegend dort erinnert sehr an den Norden Deutschlands: Das Land ist flach, man sieht viele grüne Wiesen, aber anders als etwa an der deutschen Nordseeküste hat Saaremaa auch große Waldflächen. Im Südwesten der Insel liegt die Stadt Kuressaare, wo wir den deutschen Soldatenfriedhof besucht haben, den der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1996 angelegt hat. Viele der 121 Grabsteine sind vone und hinten beschriftet, auf den meisten stehen zwei oder sogar mehr Namen. Insgesamt 674 Kriegstote sind hier beigesetzt. Weil es noch einen vollständigen Belegungsplan aus dem Jahr 1942 gibt, tragen viele Grabsteine die Namen der Gefallenen.

An der Nahtstelle zwischen Ost und West

Inmitten all der Grabkreuze stehen sechs Stelen mit den Namen der Soldaten, deren letzte Ruhestätte nicht bekannt ist. Eine Gedenktafel erinnert in deutscher und estnischer Sprache an den Krieg. Es ist ein deprimierender Anblick, die vielen Kreuze zu sehen - die meisten der Toten waren schließlich junge Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten (darunter auch ein Verwandter von uns). Ironie des Schicksals: Auf dem Friedhof liegen nicht nur deutsche, sondern auch russische Soldaten. Deren Gräber sind freilich schon viel früher angelegt worden; im bis 1991 sowjetischen Estland musste das russische Erbe wohl auch von Staats wegen gepflegt werden.

Türme der Alexander-Nevski-Kathedrale
Türme der Alexander-Nevski-Kathedrale

Für den Besucher aus Deutschland ist das estnische Tallinn sicherlich eine der faszinierendsten Städte im Baltikum. Denn in der Hauptstadt der kleinen Ostseerepublik treffen gleich mehrere Welten aufeinander: das alte Russland, das moderne Skandinavien, der hereinbrechende Westen und das historische Tallinn mit seinen deutschen Einflüssen. Die Nähe zum Osten zeigt sich beispielsweise am Domberg, wo die prachtvolle orthodoxe Alexander-Nevski-Kathedrale steht. Im Inneren der Kirche hält ein Pope Andachten für Besucher aus Russland - es sind überwiegend ältere Frauen in einfacher Kleidung, die im Altarraum stehen müssen, denn Bänke gibt es in orthodoxen Kirchen üblicherweise nicht.

Mittelalter-Flair und Moderne

“Kiek in de Kök” heißt es wenige Meter vom Dom entfernt: In einem alten Turm ist eine Außenstelle des Stadtmuseums untergebracht. Vom Domberg aus schweift der Blick über die Dächer der Altstadt, wo moderne Bürogebäude in Nachbarschaft mit historischen Türmen in die Höhe streben. In der Altstadt sind noch Überreste von Häusern zu sehen, die beim sowjetischen Luftangriff im März 1944 vernichtet wurden. Eine Mahntafel weist darauf hin, dass bei diesem Angriff 463 Menschen ums Leben kamen und mehr als die Hälfte der Wohnfläche den Bomben zum Opfer fiel.

Alte und neue Architektur im Rotermann-Viertel
Alte und neue Architektur im Rotermann-Viertel

Der Rathausplatz in Tallinn überrascht mit historischer Idylle: Wer Städte wie das mittelalterliche Rothenburg ob der Tauber liebt, der fühlt sich hier gleich zuhause. Doch in Tallin gibt es noch mehr zu sehen als nur Mittelalter: Denn sobald der Besucher die Straßen und Gassen der Altstadt verlässt, findet er sich im modernen Tallinn mit seinen Einkaufspassagen wieder: Finnische Marken wie der Bekleidungshersteller “Seppälä” haben hier bereits Fuß gefasst, es gibt original russische Schokolade ebenso wie westliche Mode und Unterhaltungselektronik aus Fernost.

Katzensprung nach Finnland

Von Tallinn aus ist es nur noch ein sprichwörtlicher “Katzensprung” nach Finnland. Die Fähren zwischen Tallinn und Helsinki verkehren mehrmals täglich - die Preise für eine Überfahrt sind moderat, verglichen mit den Tarifen der Kanalfähren zwischen England und Frankreich sogar regelrecht günstig. Gut zwei Stunden nach der Abfahrt sind wir in Finnland - nach gut 2.000 Kilometern Autofahrt und drei Tagen auf Achse, aber um viele unvergessliche Eindrücke reicher.

“Ist das nicht gefährlich - mit dem Auto nach Polen zu fahren?” Diese Frage bekommen wir jedesmal gestellt, wenn wir Freunden und Bekannten von unseren Reiseplänen berichten. Eine Antwort darauf hat Hörfunkkorrespondent Henryk Jarczyk in einer Reisesendung von HR Info gegeben: “Das Auto wird nicht gestohlen, versichere ich ihnen, die Polen klauen schon lange keine Autos mehr - in Polen zumindest nicht.” Ein Blick auf polnische Straßen genügt: Unsere östlichen Nachbarn sind mittlerweile ähnlich gut motorisiert wie wir.

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Zuletzt bearbeitet am 24.10.2015