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Finnland-Infos

Stippvisite am Varangerfjord

Ein Ausflug nach Norwegen gehört sicher nicht zum Standardprogramm für Finnland-Urlauber. Wir haben einen freien Tag zwischen zwei großen Wanderungen für eine Stippvisite am Varangerfjord genutzt. Die Fahrt dorthin erschien uns wie eine Reise ins Nirgendwo.

Rentier am Straßenrand bei Saariselkä
Rentier am Straßenrand bei Saariselkä

“Ich bin der Welt abhanden gekommen”, heißt eines der Lieder nach den Texten von Friedrich Rückert, die Gustav Mahler meisterhaft vertont hat. Der Welt abhanden kommen: Dieses Gefühl beschleicht auch den Reisenden, wenn er sich von Rovaniemi auf die Fahrt Richtung Norden begibt. Mit seinen gut 60.000 Einwohnern ist Rovaniemi nicht gerade ein Paradebeispiel für pulsierendes Stadtleben, aber immerhin: Das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Lapplands verströmt wenigstens ein bisschen städtisches Flair. Doch all die Eindrücke sind schnell vergessen, wenn man erst einmal die Gemeindegrenzen hinter sich gelassen hat, denn von nun an sieht man unterwegs vor allem Natur: Wälder, Sumpfflächen, dazwischen Seen - und natürlich Rentiere, die vergnüglich durch die Lande hoppeln und Autofahrer verdutzt anblicken, wenn die auf sie zusteuern.

Eldorado für Wintersportler und Wanderer

Die nächste größere Stadt an der Fernverkehrsstraße 4 ist - nach gut 130 Kilometern Fahrt - Sodankylä. Die knapp 9.000 Einwohner große Gemeinde ist ganz typisch für diesen Landstrich: dünn besiedelt, die Häuser weit voneinander entfernt, der Ortskern besteht aus einigen Straßen, an denen in lockeren Abständen Supermärkte, Tankstellen und andere Geschäfte des täglichen Bedarfs zu finden sind. Von hier aus sind es nochmals 130 Kilometer, ehe wir die nächste nennenswerte Ansiedlung erreichen: Saariselkä, ein Dorf, das anscheinend nur aus Hotels und Ferienappartments besteht. Hier verbringen wir im September 2016 einen Teil unseres Spätsommer-Urlaubs. Der Ort ist ein wahres Eldorado für Touristen: Im Winter kommen sie zum Skifahren, im Sommer und Herbst kommen sie zum Wandern oder Sightseeing. Wir haben schon erlebt, dass hier ganze Busladungen mit Touristen aus dem fernen Osten abgeladen werden, die scheinbar nur mal Nordluft schnuppern und lange Sommerabende genießen wollen.

Blick auf den Vetsikkojoki, nordöstlich von Utsjoki
Blick auf den Vetsikkojoki, nordöstlich von Utsjoki

Von Saariselkä aus starten wir an einem Hochsommertag mit unserem Auto Richtung Norwegen. Es ist kaum möglich, sich zu verfahren, denn hier oben gibt es neben der Fernverkehrsstraße 4 nur noch einige unbedeutende Abzweigungen. Der Weg führt durch Ivalo weiter nach Inari, und von dort gewissermaßen ins Nirgendwo. Nur hier und da sieht man noch vereinzelte Häuser in der Landschaft, und auch die Vegetation wird spärlicher: Auf den ausgedehnten Sumpfflächen rechts und links der Straße wachsen nur wenige kümmerliche Bäumchen in die Höhe - und wir haben noch über 100 Kilometer bis zum Varangerfjord. Erwartet uns dort am Ende nur noch eine Steppen- und Wüstenlandschaft?

Karge Sümpfe und blühende Landschaften

Doch unsere Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. Rund 50 Kilometer nördlich von Inari stoßen wir plötzlich wieder auf ausgedehnte Wälder und blühende Landschaften - und auf Geisterdörfer: Die Karte im Internet zeigt Namen von Orten an, die scheinbar nicht existent sind, denn es gibt keine Besiedlung - oder aber nur Häuser, die so weit voneinander entfernt stehen, dass wir sie nicht als Dörfer wahrnehmen.

Die Kirche von Utsjoki besitzt einen schlichten Innenraum
Die Kirche von Utsjoki besitzt einen schlichten Innenraum

Nach knapp 200 Kilometern Fahrt entdecken wir auf einem Hügel eine Kirche - mitten in der unberührten Natur. Sie gehört zu Utsjoki, der nördlichsten Gemeinde Finnlands; seltsamerweise befindet sich die Kirche nicht im Ort selbst, sondern ungefähr sechs Kilometer davon entfernt. Utsjoki hat gut 1.200 Einwohner und eine Fläche von rund 5.372 Quadratkilometern - der kleine Ort ist also ungefähr doppelt so groß wie das Saarland. Solche flächenmäßig riesigen, aber bevölkerungsarmen Großgemeinden sind im Norden Finnlands übrigens kein Einzefall. Immerhin: Für die geringe Bevölkerungszahl besitzt Utsjoki eine erstaunlich gute Infrastruktur: Im Ort ist alles vorhanden - vom Pub über die Bankfiliale bis hin zum Lebensmittelladen.

Alkohol-Tourismus an der Grenze

In Utsjoki biegen wir nach rechts auf die 970 ab. Diese Straße führt uns am finnisch-norwegischen Grenzfluss Tenojoki entlang nach Nuorgam. Der Gemeindeteil von Utsjoki beherbergt gut 200 Einwohner und weist gleich zwei Besonderheiten auf: Nuorgam ist nicht nur das nördlichste Dorf von Finnland, sondern wohl auch die kleinste Gemeinde mit eigener Alko-Filiale. Bei dem finnischen Staatsmonopol-Betrieb sind die Nachbarn aus dem nahen Norwegen gern gesehene Kunden. Für deutsche Verhältnisse mögen die Preise bei Alko stark überteuert sein; für norwegische Verhältnisse sind sie ein Schnäppchen.

Dunkle Wolken über dem Varangerfjord
Dunkle Wolken über dem Varangerfjord

Apropos Alkohol: An der finnisch-norwegischen Grenze wird unser Auto plötzlich vom Zoll angehalten. Ob wir Alkohol dabei haben, fragt der freundliche Beamte. Meine Begleitung sagt spontan Nein, ich antworte gleichzeitig mit Ja, denn mir ist in diesem Moment bewusst geworden, dass sich in unserem Kofferraum noch die gesammelten Einkäufe von der Hinreise durch's Baltikum befinden: lettisches Bier, Wein aus Georgien und Armenien. Wir zeigen dem Zöllner das Warenlager und erklären ihm die Herkunft. Er schaut etwas verdutzt, lässt uns dann aber weiterfahren. Immerhin: Wir hatten keine harten Sachen gebunkert - sonst hätte es eventuell Schwierigkeiten geben können.

Kultur und Kunst im Sami-Museum

Von der Grenzstation sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Varangerfjord und der Ortschaft Varangerbotn. Der Fjord ist an diesem Nachmittag in düsteres Sommerlicht getaucht, am Himmel machen sich dunkle Regenwolken breit. Wir nutzen das unsichere Wetter für einen Besuch im kleinen, aber feinen Sami-Museum. Hier wird die Kulturgeschichte der Küstensamen gezeigt, die in diesem Teil Norwegens leben. Zur Präsentation gehören nicht nur archäologische Fundstücke, sondern auch samisches Kunsthandwerk, “Duodji” genannt. Wir haben bei unserem Besuch im Sami-Museum Glück, denn in einem Nebenraum läuft auch noch eine Ausstellung mit Werken von John Andreas Savio, einem samischen Künstler aus der Region. Seine expressionistisch anmutendenden Holzschnitte sind wirklich sehenswert.

Fischfang in früheren Zeiten: ein Exponat im Sami-Museum
Fischfang in früheren Zeiten: ein Exponat im Sami-Museum

Am Nachmittag fahren wir wieder zurück nach Saariselkä - vorbei am Tenojoki, in dem an diesem milden, aber unbeständigen Sommertag viele Angler stehen, die einen Lachs an Land ziehen möchten. Wir halten unterwegs an einem der vielen Seen, lassen den Blick über das Wasser schweifen und die Seele baumeln.

Lesen Sie auch: Zugvögel ... einmal nach Inari - ein Besuch in der Gemeinde, in der Peter Lichtefeld Ende der 1990er Jahre seinen Finnland-Film mit Joachim Krol und Peter Lohmeyer gedreht hat.

Zuletzt bearbeitet am 08.06.2019