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Die Sibelius-Edition

Alles von Jean Sibelius: Das bietet die Sibelius-Edition des schwedischen Plattenlabels BIS Records seit 2011 an. Die 13 Boxen vermitteln einen umfassenden Überblick über die gesammelten Werke des finnischen Komponisten. Ein schmerzlich vermisstes Stück Musik fehlt allerdings.

Eine Zierde fürs Regal: Sibelius-Edition Boxen 1 bis 7
Eine Zierde fürs Regal: Sibelius-Edition Boxen 1 bis 7

Sibelius ist nicht nur der Nationalkomponist Finnlands; er gehört außerdem zu den wenigen finnischen Tonmeistern, die über die Grenzen ihrer Heimat hinaus bekannt geworden sind. Das war freilich nicht immer so - vor allem nicht in Deutschland. Sibelius hat in jungen Jahren viele Studienmonate im deutschsprachigen Raum verbracht - in Berlin und Wien. Und dennoch haben seine Symphonien hierzulande zunächst nicht den Durchbruch geschafft. Das taten sie erst einige Jahre nach dem Tod des Komponisten, als Dirigenten wie Leonard Bernstein, Lorin Maazel und Herbert von Karajan die Werke einspielten und damit eine große Zuhörerschaft unter den Klassik-Fans begeistern konnten.

Heute zählen die sieben Symphonien von Jean Sibelius zwar nicht zu den Dauerbrennern in deutschen Konzertsälen; aber sie werden doch immer wieder mal aufgeführt und im Radio gespielt - ebenso wie die anderen Evergreens aus seinem Repertoire: die sinfonische Dichtung “Finlandia”, die “Karelia-Suite”, das Violinkonzert, der “Valse triste”, außerdem Werke wie “Kullervo” und die “Lemminkäinen-Suite”. Schier unüberschaubar ist die Zahl der Tonträger, auf denen Jeans größte Hits inzwischen veröffentlicht wurden.

Über 80 Stunden Musik

Doch Sibelius hat nicht nur Symphonien, das sattsam bekannte Violinkonzerte und eine Handvoll Tondichtungen verfasst. Er hat auch Theatermusiken komponiert, Lieder, Klavier- und Kammermusikstücke und vieles, vieles mehr. Wieviel mehr - darüber gibt die Sibelius-Edition Auskunft: Im Juni 2007 hat BIS Records mit der Veröffentlichung der gesammelten Werke begonnen, im Herbst 2011 kam die letzte der insgesamt 13 CD-Boxen heraus.

“All die Musik, die Jean Sibelius je geschrieben hat”, verspricht die Edition, “von den Symphonien und Tondichtungen über Chorwerke, Kammermusik und die kleinsten Klavierstücke.” Auf 68 CDs - in 13 Boxen thematisch geordnet - kommen so insgesamt 80 Stunden und 30 Minuten Musik zusammen. Eine verwirrende Menge. Und die Verwirrung nimmt nochmals zu, wenn man - wie der Autor dieser Zeilen - Sibelius-Fan ist.

In der Villa Ainola in Järvenpaa hat der Komponist gelebt
In der Villa Ainola in Järvenpaa hat der Komponist gelebt

In meinem CD-Regal steht eine Box mit Klaviermusik von Jean Sibelius. Der finnische Pianist Eero Heinonen (nicht zu verwechseln mit dem Bassisten der Rockband “The Rasmus”) hat die Klavierstücke für die Plattenfirma “Finlandia” eingespielt - eine Gesamtausgabe auf fünf CDs. Die Sibelius-Edition bietet auch alle Klavierstücke, braucht dafür aber zehn prall gefüllte CDs. Der Grund für diese wundersame Musik-Vermehrung ist leicht zu erklären: Während sich Finlandia und Heinonen auf die publizierten Klavierwerke konzentrieren, hat BIS in der Sibelius-Edition alles aufgenommen und auf Silberscheibe gepresst, auch unveröffentlichte Werke und kurze Klangschnipsel, die irgendwo in den Archiven entdeckt wurden.

Viele Tonträger-Premieren

Diese Klangschnipsel haben durchaus ihren Reiz, denn man hört hier - ähnlich wie in der Beatles Anthology -, wie Sibelius frühere Versionen verworfen und dann durch Überarbeitungen ersetzt hat. Aber, Hand aufs Herz: Wer braucht das?

Auch in den übrigen Boxen gibt es eine große Menge an bisher unveröffentlichten Kompositionen und Versionen. In den beiliegenden Booklets erfährt man viel über deren Ursprung: So hat Sibelius in frühen Jahren auch Salon-Musik komponiert, um finanziell über die Runden zu kommen; so manches Stück aus diesem Genre hat durchaus seinen Reiz, auch wenn die Masse von der Bedeutung her sicherlich nicht mit den großen Kompositionen wie den Symphonien mithalten kann. Aber das ist natürlich auch Geschmackssache.

Abseits der ausgetretenen Pfade

Es hat mir viel Vergnügen und so manches Aha-Erlebnis beschert, die 68 CDs anzuhören. Einige haben schon öfters den Weg auf den Plattenteller gefunden, andere nicht; das liegt vor allem an den musikalischen Vorlieben, nicht aber an den Interpretationen: Das Label BIS Records hat für die Sibelius-Edition durchaus die erste Garde der finnischen und skandinavischen Klassik-Szene engagiert, für die Symphonien beispielsweise das renommierte Lahti Symphony Orchestra unter Osmo Vänskä und Jaakko Kuusisto.

Zu jeder Box gehört eine ausführliche Werkbeschreibung nebst Biographie
Zu jeder Box gehört eine ausführliche Werkbeschreibung nebst Biographie

Für Musikforscher und ausgesprochene Fans von Jean Sibelius ist die Edition sicherlich erste und einzige Wahl. Für Klassikliebhaber, die sich abseits der ausgetretenen Pfade einen größeren Überblick über das Werk des finnischen Komponisten verschaffen möchten, gibt es geeignetere und auch günstigere Lösungen. So hat BIS Records auch eine CD-Box mit dem Titel “The Essential Sibelius” im Sortiment - eine Sibelius-Edition im Kleinformat mit allem, was man gerne hört (oder vielleicht noch entdecken mag).

Wo ist die achte Symphonie?

Ein Stück habe ich auf den 68 CDs der Sibelius-Edition leider vermisst - und das ist kein Wunder, denn dieses Stück gehört zu den großen Geheimnissen der klassischen Musik: die achte Symphonie. Jean Sibelius soll Mitte der 1920er Jahre mit den Arbeiten an dieser Symphonie begonnen und das Werk im Jahr 1938 vollendet haben. Doch es wurde nie veröffentlicht. Nach Angaben aus seiner Familie hat Sibelius das Manuskript 1945 verbrannt - zwölf Jahre vor seinem Tod. Man vermutet, dass der selbstkritische Komponist nach der großen Anerkennung für seine siebte Symphonie mit dem Nachfolger nicht zufrieden gewesen sei.

Im Jahr 2004 sorgte der Musikwissenschaftler Nors Josephson dann für eine kleine Sensation: Er fand in der Universitätsbibliothek von Helsinki Manuskripte, die möglicherweise Teile der achten Symphonie enthalten. Das Helsinki Philharmonic Orchestra spielte drei unveränderte Fragmente aus dem Nachlass im Herbst 2011 in einer Probensitzung mit Chefdirigent John Storgards ein - zu spät allerdings, um in der soeben abgeschlossenen Sibelius-Edition noch Platz zu finden.

Die aufgenommenen Tonschnipsel der achten Symphonie finden Sie im Internet. Es gibt übrigens immer wieder Gerüchte, dass Sibelius das Werk vor der Vernichtung einem Kopisten gegeben habe. Deshalb wäre es durchaus möglich, dass auf irgendeinem Dachboden noch eine Zweitschrift erhalten ist. Ob man die veröffentlichen sollte, wenn sie jemals aufgefunden wird? - Das ist die große Frage, auf die der große Meister sicherlich eine klare Antwort hätte: Nein. Denn Sibelius hat es zu Lebzeiten nicht gewollt.

Lesen Sie auch: Die Villa Ainola von Jean Sibelius

Zuletzt bearbeitet am 24.06.2018