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Ari Rasilainen in der Musikhochschule

Der finnische Dirigent Ari Rasilainen ist einer der bekanntesten Kapellmeister seiner Generation - und ein höchst innovativer dazu: Abseits der ausgetretenen Pfade nimmt er immer wieder Werke von Komponisten auf, die hierzulande kaum ein Mensch kennt; in Rasilainens Diskografie lässt sich so manche Entdeckung machen.

Ich treffe Ari Rasilainen an einem sommerlich warmen Frühlingstag in der Würzburger Hochschule für Musik. Das ehemalige Staatskonservatorium hat ihn im Jahr 2011 zum Professor für Dirigieren und Orchesterleitung ernannt.

Ari Rasilainen in einem Probenraum der Würzburger Hochschule für Musik
Ari Rasilainen in einem Probenraum der Würzburger Hochschule für Musik

Susanna Mälki, Esa-Pekka Salonen, Hannu Lintu: es gibt so viele bekannte Dirigenten, die aus Finnland stammen. Woran liegt das - ist die Ausbildung bei Ihnen zuhause so gut?

Ari Rasilainen: Der Hauptgrund ist: Wir haben in Finnland so viele Profiorchester wie in Schweden, Norwegen und Dänemark insgesamt. Der große Maestro Paavo Berglund hat einmal gesagt: Das Allerwichtigste für einen Dirigenten ist das Orchester, sonst können Sie nicht regelmäßig arbeiten. Sie müssen auch diese Fehler machen und Musiker hören, das ist eine Grundlage. Bei uns hat jeder angehende Orchesterleiter fürs erste Dirigieren ein Orchester. Heutzutage ist es auch eine große Ehre, selbst kleinere finnische Stadtorchester zu leiten. Wir haben ja auch nur ein großes Opernhaus.

Aber Sie haben viele kleinere Konzerthäuser und Spielstätten - Jyväskylä zum Beispiel oder Lahti.

Ari Rasilainen: Jyväskylä hat das Messe- und Kongresszentrum Paviljonki, Lahti hat die Sibeliushalle. Das ist das eine. Das andere: Wir haben Professor Jorma Panula. Er hat schon 1975 an der Sibelius-Akademie in Helsinki ein Projektorchester für junge Dirigenten gegründet. Man hat den Musikern ein Taschengeld gezahlt, und immer war bei den Proben auch ein Profi-Konzertmeister vom Radio-Sinfonieorchester oder vom Philharmonischen Orchester mit dabei. Der hat dann gesagt: Bitte, hier in diesem Stück von Schubert, achten Sie auf dies und das - es war sehr kollegial. Panula hat viel Wert auf die richtige Schlagtechnik gelegt. Die kann man in 15 Minuten lernen, hat Panula gesagt. Und dann hat er seinen Studenten auch noch die richtige Einstellung gelehrt: Nicht stören, nur helfen. Das ist sehr verkürzt gesagt, aber darum geht's beim Dirigieren: Nicht stören, nur helfen, und dann verschiedene Farben und Charaktere in der Musik zeigen.

Auf die Schlagtechnik kommt es an

Außerdem hat Panula auch versucht, Fehler bei den jungen Dirigenten zu beseitigen - da hatte ich anfangs auch einen, bei der Schlagtechnik. Ich habe mir das damals bei Okko Kamu abgeschaut, er war Autodidakt und hat 1969 den ersten Herbert-von-Karajan-Wettbewerb gewonnen. Ich habe mir gedacht, man muss so dirigieren, mit dem Schlag unten, wie beim Angeln. Und Panula hat dann gesagt: Bitte nicht, no fishing. - Es war sehr schwer, sich das wieder abzugewöhnen. Wir haben hier in Würzburg natürlich nicht so viele Möglichkeiten, Orchester zu dirigieren wie in Finnland. Aber ich habe schon anfangs unseren Hochschulpräsidenten gefragt: Kann ich meine Klasse auch mal mit nach Finnland nehmen? Meine alten Orchester, wo ich früher dirigiert habe - wenn die neue Spielzeit beginnt, dann können wir dort umsonst dirigieren, auch schwere Stücke. Im August fliegen wir auch wieder nach Finnland, wir sind dann acht bis 17 Tage zusammen, 24 Stunden, wir leben zusammen, wir essen zusammen, wir sprechen über die Musik - das ist immer ein phantastischer Start für das neue Wintersemester.

Sie haben ja Ihre musikalische Laufbahn nicht als Dirigent begonnen, sondern als Geiger. Warum haben Sie sich entschieden, den Platz im Orchester aufzugeben und ans Dirigentenpult zu wechseln?

Ari Rasilainen: Mein Vater war Organist, ich bin auch in einer Kirche aufgewachsen - Blättern und Registrieren, das habe ich schon damals gemacht. Zur Kirchenmusik gehören auch Oratorieren, die hat mein Vater dirigiert, er war Organist und Kantor, mit Profiorchester. Ich kann mich noch gut erinnern: ich war vielleicht zweieinhalb oder so, und mein Vater hat unten dirigiert, und ich saß auf der Empore und habe auch mit dirigiert. Als ich dann fünf war, haben wir ein Sinfoniekonzert besucht, und ich habe meinen Vater gefragt: Was ist denn das Weiße da unten - das Weiße war ein Geigenbogen -, so etwas möchte ich auch spielen. Und dann hat Okko Kamu den Dirigenten-Wettbewerb gewonnen, das war für das finnische Musikleben ganz wichtig. Plötzlich haben viele Musiker seiner Generation gedacht: Wenn der das kann, dann kann ich das doch auch! Es gab einen kleinen Boom.

Mit Tempo aufs Podium

Ich habe damals - mit elf, zwölf Jahren - eine musische Schule besucht, wir hatten ein Streichquartett, eine andere Schule hatte auch ein Streichquartett. Wir haben damals schon die Sibelius-Akademie besucht und haben uns dann überlegt: Warum legen wir die zwei Quartette nicht zusammen und gründen ein kleines Kammerorchester? Das haben wir dann auch getan. Ich wusste damals: ein anderer Geiger will auch dirigeren, aber ich war schneller auf dem Podium - das ist Tatsache. Ich habe sechs Jahre dieses Orchester dirigiert, war aber damals noch nicht in einer Dirigentenklasse. Aber Panula hat immer gefragt: Hast du eine Möglichkeit zu kommen? Auch meine Geigenlehrer haben mich ermuntert. Ob das an der Orgel liegt? - Da hat man ja auch diese Registrierung mit unterschiedlichen Instrumenten wie Trompete, Krummhorn oder Flöte. - Außerdem war es sehr wichtig, dass ich neun Jahre in Profiorchestern gespielt habe, auch mit international bekannten Dirigenten und Solisten.

Und dann steht man zum ersten Mal vor einem großen Orchester und dirigiert. Was ist das für ein Gefühl?

Ari Rasilainen: Das war fantastisch. Man hat das Gefühl: Dieses Orchester hat deutlich mehr Kapazität als man braucht, man kann mehr herausholen, als man sich vorstellen kann. Außerdem ist es ein Unterschied, ob man im Kammerorchester mit Musikern arbeitet, die in der gleichen Klasse sitzen, oder mit einem richtigen Profiorchester. Es war eine unglaubliche Erfahrung.

Wissen Sie noch, welche Stücke Sie in Ihrem ersten großen Konzert dirigiert haben?

Ari Rasilainen: Ein besonderes Konzert war 1982 in Kuopio. Das finnische Radiosinfonieorchester hat das erste Klavierkonzert von Chopin mit Grigori Sokolow gespielt. Sokolow hasste das Fliegen, er wollte nur mit dem Zug oder mit dem Auto fahren. Um 16 Uhr war Probe, um 19.30 Uhr Aufführung. Es hat ganz gut geklappt.

1999 hat ein Intendant aus Hannover angerufen und mich gefragt, ob ich ein Konzert mit Sokolow dirigieren möchte. Bei dieser Gelegenheit habe ich dann erfahren, dass Grigori Sokolow eine Liste von Dirigenten hat, mit denen er zusammenarbeitet - eine Liste mit meinem Namen darauf. Wir haben dann das Tschaikowsky-Konzert in Dänemark gespielt, außerdem auch Brahms. Damals ist er als Solist in vielen Klavierkonzerten aufgetreten, heute spielt er ja fast nur noch Recitals. - Das war auf jeden Fall eine große Erfahrung - in einem meiner ersten großen Konzerte, an einem 18. Februar übrigens, meinem Geburtstag.

Musikalische Entdeckungen

Finnische Klassik ist vor allem durch Sibelius bekannt, aber es gibt natürlich noch viele andere Komponisten, die man entdecken kann. Bei mir im Plattenschrank findet sich zum Beispiel Ihre Gesamtaufnahme mit den Symphonien von Aulis Sallinen.

Ari Rasilainen: (lächelt, als ich ihm die CD-Box zeige.) Das ist toll. Ich habe jetzt ja diese Position als Chefdirigent bei der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Da will ich etwas mehr diesen nordischen Wind mitbringen - aber nicht nur Sibelius. Sallinen will ich mitnehmen, das ist klar. Zur Eröffnung der neuen Spielzeit möchte ich außerdem zwei verschiedene Stücke von Uuno Klami aufführen. Uuno Klami stand praktisch sein Leben lang im Schatten von Sibelius.

Wenn wir von Klami sprechen oder Komponisten wie Leevi Madetoja und Selim Palmgren, da gibt es einen ganz wichtigen Punkt, warum deren Stücke nicht mehr gespielt werden: Das Notenmaterial ist unglaublich schlecht, handgeschrieben und sehr schwer zu lesen. Aber heutzutage haben wir Notensatzprogramme - und Verlage, die Werke dieser Stücke neu aufgelegt haben. Das macht es für Orchester natürlich einfacher, die Stücke zu spielen.

Der Maestro am Flügel, versunken in seine Musik
Der Maestro am Flügel, versunken in seine Musik

Uuno Klami haben ich zum ersten Mal vor ein paar Jahren beim Konzert zum finnischen Unabhängigkeitstag im Musiikkitalo in Helsinki gehört. Am Schluss der Konzerte wird immer Sibelius gespielt, Finlandia, und zum Auftakt immer Werke von Komponisten, die kaum jemand kennt.

Ari Rasilainen: Wir haben unglaublich viele Komponisten. Ich könnte Ihnen Namen nennen, die Sie vielleicht noch nie gehört haben. Zum Beispiel Leevi Madetoja. Er hat drei Symphonien gemacht, ein toller Komponist. Oder Palmgren, seine fünf Klavierkonzerte sind erste Klasse. Natürlich haben wir heute zeitgenössische Komponisten wie Kalevi Aho, Magnus Lindberg oder Kaija Saariaho. Aber die Generation zwischen Sibelius und der Neuzeit ist praktisch völlig vergessen.

Sprechen wir noch mal kurz über Aulis Sallinen: Wie kommt so eine CD-Box überhaupt zustande?

Ari Rasilainen: Ich kenne den künstlerischen Leiter des Plattenlabels cpo schon seit 1991. Ich habe ihn eines Tages mit seiner Frau nach Finnland eingeladen - wir haben eine Insel im Päijänne-See, auf der man ganz alleine sein kann. Und dann haben wir überlegt: Was können wir zusammen machen? Wir haben dann zuerst den Kurt Atterberg-Zyklus zusammen aufgenommen und drei deutsche Orchester - Hannover, Frankfurt und Stuttgart - dazu ausgewählt. Als nächstes habe ich dann Aulis Sallinen vorgeschlagen, auch den ganzen Zyklus. Davon war er gleich super begeistert. Diesmal haben wir dann aber auch das Orchester aus Norrköping genommen, mit dem ich schon oft gearbeitet habe. - Ich bin schon stolz auf dieses Projekt, denn in der Box sind so viele interessante Stücke zu finden, auch unter den Konzerten.

Sie haben sich aber nicht nur der nordischen Musik zugewandt, sondern auch einem sehr unbekannten Symphoniker aus der Türkei - Ahmed Adnan Saygun. Wie kam's dazu?

Ari Rasilainen: Ich habe ganz oft in der Türkei visitiert und hier auch Orchester kennengelernt. Dieser Komponist hat zwischen Europa und Anatolien gelebt. Sie können hören, dass die erste und zweite Symphonie ganz anders sind als die dritte, vierte und fünfte.

Man muss nicht alles machen

Viele Dirigenten schreiben auch selbst Musik - Sie nicht?

Ari Rasilainen: Doch, ich habe ein bisschen geschrieben, aber: Es gibt so viele Komponisten, die auch dirigiert haben, und so viele Dirigenten, die auch komponiert haben - ich denke an den Komponisten Sibelius oder den Dirigenten Maazel. Am Ende aber kennt man sie doch nur als Komponist oder Dirigent. Man muss nicht alles machen.

Sie sind das ganze Jahr unterwegs, haben inzwischen eine feste Stelle in Konstanz und hier an der Hochschule für Musik in Würzburg.

Ari Rasilainen: Ja, da habe ich vorher überlegt, wie sich das vereinbaren lässt. Diese Professur an der Hochschule für Musik, das ist eine richtige, feste Stelle; in Konstanz habe ich eine Chefdirigentenposition. Bevor ich unterschrieben habe, habe ich unseren Präsidenten gefragt: Ist das überhaupt möglich? Ich muss regelmäßig dirigieren, aber auf der anderen Seite: Wenn ein Professor nicht mehr regelmäßig dirigiert, dann ist sein Unterricht auch nicht mehr so attraktiv.

Wieviele Studenten haben Sie zur Zeit?

Ari Rasilainen: Momentan habe ich fünf. Das hört sich wenig an, aber es ist beim Dirigieren doch ein bisschen anders als in Fächern wie Geige, Klavier oder Gesang. Die Studenten brauchen mehr Zeit, um sich zu orientieren, Partituren zu lesen oder Repertoire zu planen. Dann fliegen wir ja auch nach Finnland, wir gehen zur Staatsphilharmonie oder nach Hof und bleiben ein, zwei Tage, die ganze Klasse. Im Einzelunterricht geht es dann darum, an Details zu arbeiten. Die Studenten müssen es nicht so machen wie ich, aber sie müssen eine Vision haben. Beim Dirigentenberuf kommt es nicht nur auf die Schlagtechnik an, sondern die Interpretation muss genial sein. Die Schlagtechnik hilft nur, wie Panula gesagt hat: nicht stören, nur helfen.

Wann haben Sie das Gefühl: Jetzt wird die Musik richtig gut gespielt?

Ari Rasilainen: Bei meinen eigenen Aufnahmen ist das zum Beispiel bei Atterberg der Fall, ich liebe die 3. und 6. Symphonie. Wenn man Zeit hat und die Möglichkeit, erst mit dem Orchester zu proben, dann Konzerte zu geben und dann die Aufnahme zu machen: dann ist es gut. Das hört man. Bei Orchestern wie den Berlinern ist es ja heute auch oft so, dass drei drei Konzerte machen, die werden mitgeschnitten, und daraus entsteht dann eine neue Produktion.

Authentische Live-Aufnahmen

Leonard Bernstein war wohl einer der ersten, der damit angefangen hat, seine neuen Veröffentlichungen live einzuspielen.

Ari Rasilainen: Ja, und wenn da ein paar Fehler drin sind? - So what! Aber die Stimmung, die können sie hören, die ist immer authentisch.

Wenn Sie in Finnland sind, dann leben Sie in Tampere, einer Stadt, die für Rockmusik bekannt ist - ich denke nur an Juice Leskinen.

Ari Rasilainen: Juice Leskinen ist leider 2006 gestorben, aber dann gab es da auch noch Manserock und Bands wie Eppu Normaali.

Haben Sie das früher auch gerne gehört?

Ari Rasilainen: Wenn Sie Autofahren, hören Sie das automatisch. Juice war übrigens ein genialer Textdichter - manche Stücke von ihm kann ich auswendig.

Ja, und dann ist da natürlich der Tango, den gibt's ja heute auch in Arrangements für großes Orchester - ohne Trommel. Ich bin ein bisschen allergisch, wenn ich immer diese Trommel höre, aber diese Melancholie und diese Texte. - Aki Kaurismäki hat neulich einen Preis gewonnen für seinen neuen Film “Die andere Seite der Hoffnung”. Die Hauptrolle hat Sakari Kuosmanen gespielt. Aki hat nach der Preisverleihung zu ihm gesagt: ich bin müde - sing einen Tango. Und Sakari hat gesungen. Herrlich!

Ari Rasilainen hat für cpo, das Musiklabel des Versandhändlers jpc, eine Reihe von Alben aufgenommen. Seine Gesamtaufnahmen der Symphonien von Aulis Sallinen und Kurt Atterberg darf man getrost als Meilensteine bezeichnen, denn deren Werke werden kaum aufgeführt - zu Unrecht, wie Rasilainens Einspielungen zeigen. Wenige Wochen nach dem Gespräch durften meine Frau und ich den Maestro auch einmal im Konzert erleben, mit dem Würzburger Hochschulsinfonieorchester hat er unter anderem Cantus Arcticus gespielt, ein Stück aus der Feder des finnischen Dirigenten Einojuhani Rautavaara - es war ein Genuss!

Zuletzt bearbeitet am 07.10.2017